07:30 Uhr Wanderschuhe an, Rucksack genommen und los zum ZOB. Nach 300 Metern umkehren, den Pilgerhut (Fischerhut) vergessen. Und nochmal in Richtung ZOB unterwegs.

Warum habe ich den Hut vergessen? Ich habe doch noch kurz vor dem Verlassen daran gedacht, ihn mit zu nehmen. Hier wird mir bewusst, dass ich in meiner Hektik immer wieder unachtsam bin. Ich stehe nicht im HIER und JETZT. Also werde ich wohl etwas an meiner Achtsamkeit arbeiten. Tut mir auch sicherlich ganz gut! Und das hat mir heute diese Pilgertour gleich zu Anfang gegeben. Denn der Weg einer Pilgertour beginnt zuhause und nicht erst am Start der Etappe.

Umso schöner ist der Fußweg zum ZOB. Die Sonne zaubert mir ein Lächeln in mein Gesicht und der Tag kann beginnen. So kann ich frohen Mutes losgehen auf meine zweite Etappe des Jakobsweges in Richtung Santiago de Compostela. Der Start Brakel, das Ziel Bad Driburg. Insgesamt werden es später 16,7 km sein.

Der Bus bringt mich vom ZOB in Rietberg zum Hauptbahnhof nach Paderborn und von dort fahre ich dann kurze Zeit später weiter mit dem Zug nach Brakel. Angekommen gehe ich gleich vom Bahnhof zu meinem Startpunkt, dem Zielpunkt meiner ersten Etappe.

Ich stehe nun vor der St. Michael Kirche, an der ich am 10. Mai 2021 meine erste Etappe beendet hatte. Kennst du dieses Gefühl? Wenn du nach einiger Zeit wieder an einem Ort bist, wo du vor längerem gewesen warst, dann kommt es dir so vor, als sei es gestern gewesen. Genau dieses Gefühl habe ich jetzt! Und ich glaube, dieses Gefühl gehört zum Pilgern auf den Jakobswegen dazu. Du beendest eine Etappe, startest aber die nächste vielleicht einige Zeit später. Und dennoch hast du die letzte Etappe immer am Vortag beendet. Ein wundervolles Gefühl!

Ich gehe los. So sonnig wie beim Start in Rietberg ist das Wetter nicht mehr. Der Himmel ist trist und grau. Ich folge der gelben Jakobsmuschel, die mir – auf blauem Untergrund – den Weg weist. Ortsausgang Brakel, ab in die Natur, ab in den Regen. Ja, es beginnt zu regnen. Nur leicht, aber stetig. Dennoch lässt die Freude an dieser Etappe nicht nach.

Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch“ Diese Worte von Karl Valentin geben mir viel auf dieser Etappe. Es regnet jetzt nur leicht, doch schon bald werde ich einen starken Regenguss spüren, so dass das Wasser den Wegen wie in kleinen Bächen herab läuft.

Warum soll ich mich also nicht freuen, auch wenn es (heftig) regnet. Denn ich kann daran nichts ändern, aber meine Freude kann ich behalten. Sie hilft dann auch, den Weg bei Regen gelassen weiter zu pilgern. Es gehört dazu, dass es auf den Pilgerreisen auch mal regnet. Das weiß ich, also freue ich mich über diese Pilgertour. Schließlich gibt mir der Weg nicht das, was ich will, sondern das, was ich brauche. Und heute bekomme ich halt den Regen.

Wenn es regnet, dann fehlt aber etwas: die schönen Aussichten von einem Berg oder die glänzenden Farben in der Sonne. Du brauchst bei Regen also nicht in die Ferne schauen. Und wenn du nicht in die Ferne schauen kannst, dann schaust du vielmehr in dich hinein. Und das mache ich dann auch. Oft ist dabei der Blick auf den Weg gelenkt – der Blick nach unten – damit ich nicht ausrutsche oder der Regen in mein Gesicht fällt. Also schaue ich nach unten und bin so in mich versunken. Unten, auf Mutter Erde, gehe ich. Ich bin mit ihr verbunden und sie gibt mir Kraft für mein Leben.

Und ich schaue, vom Regen getrieben, in mich hinein. Mir wird bewusst, dass ich vieles in meinem Leben nicht ändern kann, so wie ich auch diesen Regen nicht verhindern kann. Also freue ich mich in Zukunft über mein Leben, statt darüber zu grübeln, was ich ändern könnte. Mir wird aber auch bewusst, dass ich mit meinen Füßen fest auf der Erde stehe, mit ihr verbunden bin. Das gibt Halt. Das erdet. Das hilft.

Und noch etwas anderes hilft mir auf dieser Etappe – die Jakobsmuschel. In Bad Driburg führt der Jakobsweg durch den Gräflichen Park. Kassenhäuschen am Eingang! Bezahlen für dieses Wegstück? Ich frage, ob der Jakobsweg durch den Park führt, was mir bestätigt wird. Doch meine Jakobsmuschel am Rucksack lässt mich den Weg „ohne Zoll“ passieren. Wie schon gesagt: hast du erst einmal Pass und Muschel, dann wirst du den Jakobsweg auch gehen, auch ohne vermeintliche Hindernisse.

Nun gehe ich auf dem letzten Stück dieser Etappe an einem Stück Geschichte vorbei. Der Grundstein dieses Parks wurde 1669 gelegt. Der Fürstbischof von Paderborn Ferdinand von Fürstenberg legte eine doppelreihige Lindenallee zum „Driburger Sauerbrunnen“ an. Dieser Brunnen ist die Quelle des Heil- und Mineralwassers aus Bad Driburg. Und durch diesen Park gehe ich nun ohne Regen.

Es ist gut, dass mich der Regen auf der zweiten Etappe meines Jakobswegs begleitet hat. Es ist gut, dass ich nicht gleich von Anfang an mit sonnigem Wetter beim Pilgern verwöhnt bin. So habe ich gleich zu Anfang meiner Pilgerreise einen anderen Blickwinkel, nach unten und nach innen, bekommen. Ich habe heute beim Pilgern auf dem Jakobsweg das bekommen, was ich brauche, und nicht das, was ich will!

Buen camino!

(Mit einem Klick auf die nachfolgenden Fotos kannst du dir die Tour bei Komoot ansehen.)