Kennst du die Redensarten „Das ist der wahre Jakob“ oder „Das ist nicht der wahre Jakob“? Ja? Kennst du auch eine der Ursprünge dieser Redensart. Es gibt viele, aber mir gefällt diese: Wenn jemand sagt, man sei Jakobspilger, konnte sich aber nicht mit der Jakobsmuschel ausweisen, dann sagte man „Dieser ist nicht ein wahrer Jakob“. Damals erhielt man nämlich die Jakobsmuschel erst am Ziel in Compostela, heute erhält man sie (oder man besorgt sie sich) schon zu Beginn der Pilgerreise. Und so besitze ich auch eine. Sie hat mir ja schon auf der zweiten Etappe gut geholfen.

Und heute an diesem 12. August? Da ist meine Jakobsmuschel der Auslöser für ein wundervolles Gespräch im Zug von Paderborn nach Bad Driburg. Eine junge Frau auf ihren Weg nach Hause fragt mich, ob ich pilgere. Und so kommen wir für diese kurze Zeit in ein gutes Gespräch. Wir sprechen über den Camino, meinen Camino, und auch über eben dieses Sprichwort.

Zwei Stationen weiter bin ich in Bad Driburg. Eine wunderschöne Stadt mit ihrem eigenen Flair. An der Kirche starte ich meine dritte Pilgeretappe und sie wird mich nach Paderborn zurück führen. Es ist eine der längsten Touren auf den deutschen Pilgerwegen. Fast 28 km werde ich durch Wald, Wiesen, kleinen Orten und Paderborn pilgern. Ja, durch Paderborn werden es vier der achtundzwanzig Kilometer sein, aber dazu komme ich noch später.

Schon kurze Zeit später geht es steil bergauf. Zehn Prozent Steigung liegen vor mir, um dann an der Iburg anzukommen. Der Weg dorthin führt durch einen wunderschönen Wald und oben angekommen habe ich eine ebenso wunderschöne Aussicht auf Bad Driburg. Dieses Stück meiner dritten Etappe fordert mich wegen der extremen Steigung enorm. Ich komme nur ganz langsam voran.

Das veranlasst mich, dass ich mich auf dem weiteren Weg mit den zehn Geh-Boten des Pilgerns auseinander setzen werde, genauer gesagt mit dem zweiten Geh-Bot: GEH LANGSAM. Bei diesen Geh-Boten handelt es sich nicht um die 10 Gebote, die Moses von Gott erhielt und den Juden für ein erfülltes Leben gab. Es sind zehn Pilgerweisheiten, die einem ein erfülltes Pilgern geben.

Geh langsam! Und so versuche ich Schritt für Schritt langsam zu gehen. Ich versuche langsam zu gehen, auch als die Steigung nachlässt und ich einfacher gehen kann. „Eine Schildkröte sieht mehr vom Weg als ein Hase“ sagt ein chinesisches Sprichwort, was ich voll und ganz bestätigen kann. Ich nehme mehr von der Natur wahr, von der Gegend und schließlich auch von mir.

Wenn du langsam gehst, dann nimmst du die hohen Bäume wahr. Wenn du langsam gehst, dann nimmst du den Duft des Waldes wahr. Wenn du langsam gehst, nimmst du deinen Körper wahr. Mir wird bewusst, dass ich beim langsamen Gehen aufrechter pilgere. Wenn es überhaupt eine Steigerung von aufrecht gibt. Dennoch, ich gehe aufrechter. Das nehme ich jetzt wahr, das spüre ich. Und es tut wahrlich gut!

Wenn du aufrecht gehst, dann kann die Energie, deine Lebensenergie, in dir freier fließen. Sie zirkuliert dann ungehindert von Kopf bis Fuß. Noch etwas zeigt beim langsamen Gehen seine Wirkung. Du entziehst dich der Hektik! Du nimmst von dir den Leistungsdruck! Ein wertvolles Gefühl, ein wertvoller Zustand, in unserer heutigen Zeit. Immer schneller, immer höher und immer weiter, das allgemeine Ziel unserer Gesellschaft, macht uns Menschen kaputt. Da brauchen wir eine Auszeit, eine bewusste Auszeit, um uns zu regenerieren. Dabei unterstützt uns beim Pilgern, das zweite Geh-Bot.

Nach der Iburg geht es meistens bergab, so dass ich das herausfordernste Wegstück hinter mich gebracht habe. Dennoch versuche ich jetzt bewusst langsam zu gehen. Das gelingt mir nicht immer. Gerade in den Orten, Schwaney und Dahl, und in Paderborn erreiche ich nicht die gewünschte Langsamkeit. Für mich persönlich liegt das an der Umgebung. In Orten und Städten gehen wir, gehe ich wohl schneller. In der Natur lässt es sich langsamer gehen, lässt es sich besser erholen.

Ja, die Natur auf dieser Etappe ist wieder ein einmaliges Erlebnis, insbesondere durch die Wahrnehmung in der Langsamkeit. Es ist lohnenswert! Im Ellerbachtal zum Beispiel sehe ich eine Brücke, aber kein Wasser darunter. Ich wundere mich! Doch ein paar Schritte weiter bekomme ich die Erklärung. Ich lese auf einer Tafel, dass es charakteristisch für die Paderborner Hochfläche ist, wenn die Bäche zeitweise unterirdisch weiter fließen. Das Wasser tritt dann in den Paderquellen wieder zum Vorschein. Eine für mich interessante Erkenntnis. Ich bin hier langsam gegangen und habe so die Zeit gehabt, dieses kennen zu lernen.

Das längste Stück – gefühlsmäßig – liegt jetzt vor mir. Die gut vier Kilometer durch Paderborn. Auf Pflastersteine und Teer gehe ich wieder etwas schneller – wie gesagt, in Städten geht’s halt schneller voran. Also erreiche ich mit schnellem Schritt das Ziel in Paderborn. Du siehst es auf dem Foto zu diesem Bericht über die dritte Etappe. Ich stehe an der Stelle, wo sich der Jakobsweg in Paderborn teilt. Links geht es durch das Sauerland nach Köln und rechts in Richtung Dortmund.

Vor Tagen habe ich mich noch gefragt, auf welchen dieser beiden Wegen ich weiter pilgern werde. Die Entscheidung ist gefallen! Ich gehe links den Weg direkt nach Köln durch das Sauerland. Ich vermute, das Gefühl, welches ich in den drei ersten Etappen in der Natur, im Wald gemacht habe, werde ich im Sauerland weiter bekommen. Und ich vermute, der Weg durch das Ruhrgebiet wird mir das nicht geben. Eine Vermutung, aber meine Entscheidung!

Buen camino!

(Mit einem Klick auf die nachfolgenden Fotos kannst du dir die Tour bei Komoot ansehen.)